Siemensbahn in Berlin-Spandau: Warum die Autobahn A100 dem Prestigeprojekt in die Quere kommt (2025)

Die Erwartungen sind hoch. Berlin muss liefern. Damit das geplante neue Stadtquartier in Siemensstadt gut erreichbar ist, soll die S-Bahn von 2029 an wieder dorthin fahren. So haben es der Senat und die Deutsche Bahn der Firma Siemens versprochen. Doch jetzt sind erneut Zweifel daran aufgekommen, ob die Siemensbahn bis dahin aus ihrem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf aufgeweckt werden kann. Wegen einer Baustelle an der Autobahn A100 in Charlottenburg könnte sich die Wiederinbetriebnahme bis 2037 hinziehen, befürchtet der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Siemensstadt Square: So heißt das milliardenschwere Prestigeprojekt, das den Bezirk Spandau neu beleben soll. Geplant sind Wohnungen, Büros, Produktions- und Forschungsstätten. In dem neuen Viertel, das im Herzen der Siemensstadt entstehen soll, werden 35.000 Menschen wohnen, arbeiten, lernen und forschen. Das ist der Plan.

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Von Siemens einst finanziert, von der Deutschen Reichsbahn 1980 außer Betrieb genommen: die SiemensbahnStefanie Reeg/Berliner Zeitung

In der Nähe verläuft die U-Bahn-Linie U7. Doch der damalige Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und die Bahn-Verantwortlichen haben Siemens versprochen, dass das geplante Stadtquartier eine zweite Anbindung ans öffentliche Verkehrsnetz bekommt. Die einst von Siemens finanzierte S-Bahn-Strecke von Jungfernheide nach Gartenfeld, auf der nach einem Streik 1980 der Verkehr beendet wurde, wird reaktiviert.

Auch wenn Experten die Reaktivierung anderer Trassen für wichtiger halten und erste Kostenschätzungen mit 877 Millionen Euro nicht gerade niedrig ausfallen, laufen die Vorbereitungen. Am 20. Dezember 2029 sollen die ersten Züge fahren – hundert Jahre nach der ersten Eröffnung der Strecke 6022, wie sie heute bei der Bahn heißt.

Siemensbahn: Warum der Zeitplan für das Prestigeprojekt ins Wanken gerät

Von Peter Neumann

Berlin

03.11.2024

Die Projektgesellschaft Deges gewann das Rennen mit der Bahn

Doch schon seit einiger Zeit gibt es Zweifel, ob die rund vier Kilometer lange Verbindung im Westen von Berlin bis dahin fertig wird.Denn ein anderes großes Verkehrsprojekt ist den Planern in die Quere gekommen. Die rund 930 Meter lange Rudolf-Wissell-Brücke, auf der die Autobahn A100 die S-Bahn-Trasse überquert, wird abgebrochen und neu gebaut. Die Siemensbahn wird die Großbaustelle des Bundes bei Kilometer 1,058 kreuzen.

Die Projektmanagementgesellschaft Deges hat das Rennen um den ersten Zugriff für diesen Bereich gewonnen: Ihr gelang es 2023, als erstes Unternehmen Unterlagen zur Planfeststellung einzureichen und das Genehmigungsverfahren in Gang zu setzen – noch vor der Bahn. Der Plan der Deges sieht vor, einen Abschnitt der Schienenstrecke vorübergehend abzutragen und dort eine Straße für die Baufahrzeuge anzulegen. Direkt neben den Gleisen wird ein Brückenpfeiler neu errichtet, über den Gleisen die Brücke. Unter schwebenden Lasten darf nicht gearbeitet werden - auch nicht an einer Bahnlinie.

Das Brückenbau-Vorhaben werde dazu führen, dass sich die Wiederinbetriebnahme der Siemensbahn deutlich verzögert, teilte der BUND am Donnerstag mit. Die Fachleute des Umweltverbands befürchten, dass die ersten S-Bahnen nicht 2029, sondern erst 2035, 2036 oder 2037 fahren können. Zuerst müsse das auf fünf bis sechs Jahre veranschlagte Projekt Ersatzneubau Rudolf-Wissell-Brücke abgeschlossen und die Baustelle abgeräumt sein. Erst dann könne der Bau der S-Bahn-Strecke beginnen.

Kosten drastisch gestiegen: So teuer wird die Wiederbelebung der Siemensbahn

Von Peter Neumann

Mitte

20.12.2023

Busse können nicht mit Privatautos konkurrieren – die S-Bahn muss her

„Der Senat muss sich vehement dafür einsetzen, dass der Zeitplan für die S-Bahn nach Gartenfeld eingehalten wird“, sagte Gabi Jung, Geschäftsführerin des BUND Berlin, am Donnerstag. „Wenn sich die Wiederinbetriebnahme der Siemensbahn um mehrere Jahre verzögert, hieße dies, dass wieder ein großes Wohnbauprojekt in Spandau ohne adäquate Nahverkehrsverbindung umgesetzt wird.“ Im Umfeld der Strecke gebe es noch weitere Viertel, die ans Bahnnetz angeschlossen werden müssen. So habe auf der Insel Gartenfeld der Bau von Wohnungen für 10.000 Menschen begonnen, berichtete Jung.

Um die Mobilitätswende voranzutreiben, müsse in Wohngebieten von Anfang an eine attraktive Nahverkehrsanbindung vorhanden sein. Überlastete und unzuverlässige Busverbindungen könnten schließlich nicht mit Privatautos konkurrieren, wie sich am gegenüberliegenden Havelufer im Spandauer Ortsteil Hakenfelde zeigt. „Wer sich einmal ein Auto zugelegt hat, der wird es nicht so schnell wieder abschaffen. Denn eingeübte Mobilitätsroutinen lassen sich nur sehr schwer aufbrechen“, betonte die BUND-Chefin.

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Die längste Autobahnbrücke in Berlin: Auf 932 Metern überspannt die Rudolf-Wissell-Brücke seit 1961 das Spreetal in Charlottenburg. Der Bund will das Bauwerk abtragen und neu bauen lassen. Baubeginn: 2026.Jürgen Ritter/imago

Bei der Deutschen Bahn sieht man das Schienenverkehrsprojekt Siemensbahn, dessen Bau 2026 beginnen soll, zumindest nach außen hin weiterhin gelassen. „Wir halten an der Wiederinbetriebnahme fest“, teilte Alexander Kaczmarek, Konzernbevollmächtigter des Bundesunternehmens, am Donnerstag der Berliner Zeitung mit. Er wies auch darauf hin, dass die Strecke in rechtlicher Hinsicht nicht stillgelegt worden sei. Dem Vernehmen nach verweist die Bahn auch darauf, dass die Trasse weiterhin ihr Eigentum sei.

Eine neue S-Bahn-Trasse für Berlin – aber was passiert mit den Kaninchen?

Von Peter Neumann

Berlin

15.09.2023

Der S-Bahnhof Jungfernheide wird ausgebaut – zu aufwendig, sagt ein Experte

„Es sind keine zeitlichen Verzögerungen zu erwarten“, zitierte Verkehrs-Staatssekretär Johannes Wieczorek in seiner Antwort auf eine Anfrage des Linke-Abgeordneten Kristian Ronneburg die Bahn. Auch der Senat geht weiterhin von einer „fristgerechten Inbetriebnahme der Siemensbahn im Dezember 2029 aus“, so der Politiker in der Parlaments-Drucksache. Ähnlich hat sich Andreas Irngartinger, Technik-Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung der Deges, Mitte April am Rande eines Pressetermins zur A100 geäußert. Er sei zuversichtlich, dass man sich mit der Bahn so einigen kann, dass beide Projekte vorangetrieben werden können, teilte er mit.

„Die Deges befindet sich im engen und konstruktiven Austausch mit der Deutschen Bahn“, bestätigte ein Sprecher am Donnerstag. „Der Neubau der Rudolf-Wissell-Brücke und die Wiedereröffnung der Siemensbahn sind zentrale Verkehrsprojekte für Berlin. Selbstverständlich ist es auch in unserem Interesse, eine schnelle und pragmatische Lösung zu finden.“

Staatssekretär Wieczorek wies darauf hin, dass auch anderswo Infrastruktur erweitert werden soll. So sei weiterhin geplant, den S-Bahnhof Jungfernheide durch ein drittes S-Bahn-Gleis und einen Außenbahnsteig zu erweitern. Dann könnten S-Bahn-Züge aus den Richtungen Gartenfeld und Westend auf dem mittleren Gleis kehren. Um für Verkehrsspitzen weitere Züge bereitstellen zu können, soll östlich der Station ein zusätzliches Kehrgleis angelegt werden, so der Politiker. Eine neue Abstellanlage auf dem Ring zwischen Westhafen und Beusselstraße erhöht die Leistungsfähigkeit weiter. Geplant sei zudem, den S-Bahnhof Westhafen ebenfalls mit einer dritten Bahnsteigkante auszustatten. Auch in Westend und Halensee ist eine zusätzliche Kante geplant.

Abriss der A100-Brücke: Jetzt sorgen sich Ingenieure um benachbarte Brücken

Von Peter Neumann

Verkehr

14.04.2025

Ist noch genug Platz für die neue Endhaltestelle der Tramlinie M10?

Aber nicht nur der Fahrgastverband IGEB sieht diese umfangreiche Planung kritisch. „Die Bahn plant den üppigen Ausbau der Infrastruktur, die Senatsverkehrsverwaltung akzeptiert das unkritisch“, fasste ein Verkehrsexperte zusammen. „Dabei muss das Land Berlin alles komplett finanzieren.“ Wenn das Vorhaben tatsächlich in diesem Umfang erweitert wird, steigen die Kosten – was bei der Nutzen-Kosten-Untersuchung zu Buche schlägt. Der Bund werde das Projekt aber nur dann fördern, wenn die Wirtschaftlichkeit nachgewiesen werden kann. Derzeit sehe es so aus, dass „nicht nur der ambitionierte Inbetriebnahmetermin 2029, sondern möglicherweise sogar das gesamte Projekt gefährdet wird“, gab der Experte gegenüber der Berliner Zeitung zu bedenken.

Er sieht vor allem die geplante dritte Bahnsteigkante in Jungfernheide mit großer Skepsis. Dieses Teilprojekt führe zu „extremen Mehrkosten“ – unter anderem, weil ein Gleichrichterwerk abgerissen und eine zusätzliche Brücke über die Spree gebaut werden muss. Auch aus Fahrgastsicht seien Nachteile zu befürchten, so der Beobachter. Umsteiger, die mit der S-Bahn aus Richtung Westkreuz eintreffen und in die Siemensstadt weiterfahren möchten, müssten den Bahnsteig wechseln.

„Zu weiteren vermeidbaren Mehrkosten führt das östlich des Bahnhofs Jungfernheide vorgesehene Kehrgleis, das eine zusätzliche Bahndammverbreiterung und einen Brückenneubau an der Lise-Meitner-Straße zur Folge hat“, lautete eine weitere Einschätzung. Zudem müsse in diesem Bereich noch eine Straßenbahn-Haltestelle untergebracht werden – die künftige Endstation der Linie M10. Doch der Eigentümer plane an der Max-Dohrn-Straße ein Gebäude, berichtete der Abgeordnete Kristian Ronneburg. Die Beteiligten seien mit dem Grundstückseigentümer im Austausch, um das Areal für Tram und S-Bahn „bestmöglich zu nutzen“, sagte Wieczorek.

Sperrung der Autobahn A100: Was bei der Debatte über das Chaos schiefläuft

Von Peter Neumann

Charlottenburg-Wilmersdorf

25.03.2025

Neubau der Ringbahn- und Westendbrücke könnte bis zu acht Jahre dauern

Der Experte nannte einen dritten Kritikpunkt. „Dass trotz des überdimensionierten S-Bahn-Ausbaus der bestehende Regionalbahnsteig in Jungfernheide nicht auf die einheitlich vorgesehenen 220 Meter verlängert wird, ist kaum erklärlich“, meinte er. Ihm sei ein Rätsel, warum die Verwaltung von Senatorin Ute Bonde (CDU) dies nicht mit bestellt hat. „Durch die geplanten Lärmschutzwände auf der Südseite des Bahnhofs Jungfernheide, die nur durch den Bau des zusätzlichen S-Bahnsteigs auf der Nordseite erforderlich werden, wird eine Verlängerungsoption zumindest deutlich erschwert.“

Und wie geht es weiter mit der A100 in Charlottenburg? Wie berichtet, musste außer der Westendbrücke auch die rissig gewordene Brücke über die Ringbahn am Dreieck Funkturm abgerissen werden. Bei der Autobahn GmbH des Bundes gebe es aber „große Zweifel, dass der anstehende Ersatzneubau tatsächlich innerhalb von nur zwei Jahren realisiert werden kann“, so der BUND. „Schließlich soll der Neubau eine Kapazitätserweiterung des Abschnitts um 20.000 auf 200.000 Kfz-Fahrten täglich bringen. Somit könnte erst in sechs bis acht Jahren die Lücke in der A100 geschlossen sein.“ Die Folgen: Autofahrer müssten länger als erwartet Umleitungen fahren und Stau in Kauf nehmen, Anwohner noch jahrelang unter dem Umfahrungsverkehr leiden.

„Die Bauzeit der Ringbahnbrücke wird deutlich kürzer sein als die vom BUND genannten sechs bis acht Jahre“, sagte dagegen der Deges-Sprecher. „Wie lange der Ersatzneubau tatsächlich dauern wird, ist abhängig vom Ergebnis der derzeit laufenden Ausschreibung. Eine möglichst kurze Bauzeit ist maßgebliches Wertungskriterium.“

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